Eine studentische Frauenkartei in der Kaiserzeit

Was würden Sie sich unter Parthenopis vorstellen? Die deutsche Übersetzung lautet Jungfrauenspiegel. Ist Parthenopis demnach ein Spiegel, in welchem Jungfrauen ihre Schönheit bewundern können, oder verbirgt sich hinter diesem Begriff eine Streitschrift für die unbefleckte Empfängnis? Letztere Vermutung kommt der wirklichen Bedeutung zumindest etwas nahe.

Zwischen 1830 und 1890 lagen in den Tübinger Stiftsstuben 'Vendee' und 'Quadrat' ganz spezielle Bücher aus, die jedermann zugänglich waren, eben die sogenannten Parthenopis. Die Studenten der evangelischen Theologie - bis 1892 gab es an der Tübinger Universität ausschließlich männliche Studierende - gaben darin Kurzbeschreibungen von jungen Frauen ab, deren Bekanntschaft sie gemacht hatten. Das Aussehen der Damen war eines der wichtigsten Kritierien, die in dem Jungfrauenspiegel erwähnt sind. Je hübscher, desto blumiger und lyrischer fallen die Worte aus, je weniger dem klassischen Ideal entsprechend, desto härter und vernichtender.

Martin Biastoch gibt in seiner Untersuchung 'Tübinger Studenten im Kaiserreich', die dieses Jahr im Jan Thorbecke Verlag erschienen ist, einige Zitate aus den beiden Büchern wieder. Neben "liebliche Blume, die eben im Aufgehen begriffen ist" findet sich auch weniger Charmantes: "Gesicht: nicht schön, aber geil". Bürgermädchen wurden generell als 'Besen' tituliert. Auch die Dichterin Isolde Kurz befindet sich unter den Beschriebenen. Sie kam erstaunlich gut weg: "Eine majestätische Gestalt von imponierender Größe".

Die Stiftler, immerhin angehende Pfarrer, haben ihre Geschlechtsgenossinnen, gemäß dem bürgerlichen Ideal, in zwei Kategorien sortiert: die edle, jungfräuliche, respektable, in den schönen Künsten bewanderte Dame, die selbstverständlich aus gehobenen Verhältnissen stammt, und die niedere, nicht dem klassischen Schönheitsideal entsprechende, nicht dem akademischen Stand zugehörige Frau, mit der 'Mann' genußvolle Stunden verbringen mag, die aber als Ehefrau nicht akzeptabel ist. Da es schwierig war, überhaupt Kontakt zu höheren Töchtern zu bekommen, frequentierten die Studierenden häufig Prostituierte, oder sie benutzten die Dienstmädchen, die ihre Kammern putzten und aufräumten.

Interessant wäre es zu erfahren, ob heutige Studierende immer noch ähnliche 'Spiegel' erstellen. Erinnert sei an dieser Stelle an eine Szene aus dem Film 'Harry und Sally', als Harry die Männerkartei von Sally entdeckt. Vielleicht finden sich ja Kulturwissenschafter(innen) für eine moderne Untersuchung ...?

-fam-

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